Würdigung statt Mythisierung

Kulturelle Bezüge zur individuellen und kollektiven Erfahrung des Ersten Weltkriegs

Isabella von Treskow

Gislinde Seybert und Thomas Stauder, Hrsg., Heroisches Elend: der Erste Weltkrieg im intellektuellen, literarischen und bildnerischen Gedächtnis der europäischen Kulturen = Misères de l’héroïsme: la Première guerre mondiale dans la mémoire intellectuelle, littéraire et artistique des cultures européennes = Heroic Misery: The First World War in the Intellectual, Literary and Artistic Memory of the European Cultures, 2 Bände (Frankfurt am Main: Peter Lang, 2014), 1625 S., 149 s/w Abb.

Kein Triumph, keine Macht, kein Siegerglänzen in den Augen. Vom Standpunkt einer Gegenwart, die an den Helden nur ausnahmsweise glaubt und an der Haltung des Soldaten nichts ausschließlich Entsprechendes erkennen, die genereller gesagt einem ungebrochen Heldischen in Kriegen nichts mehr abgewinnen will, beziehen die Perspektiven des in zwei Teilen erschienenen Sammelbands ihre Energie der „Durchsehung“1. Aus der gewählten „Lage“ des „Blickpunktes“2 der Herausgeberin Gislinde Seybert und des Herausgebers Thomas Stauder wird folglich von der Warte der Skepsis aus ein allerdings beeindruckend prall gefüllter Raum zugänglich, in dem sich bildnerische, musikalische, filmische und im weitesten Sinne literarische Produkte und Stellungnahmen mit dem Wissen um den Ersten Weltkrieg verflechten, inbegriffen die Phase davor und die Zeit nach den politisch-militärischen Ereignissen von 1914 bis 1918, bis heute. Wie dieser Raum differenziert und ohne Konvergenzzwang aufgeschlüsselt werden kann, dass das Banale und das Große nicht als Gegensätze erscheinen müssen, wie Denkmuster sich wandeln und verwandelt werden können, dass Positionen lohnend plastisch gemacht werden müssen, die (an sich legitimen) Abstraktionszielen als nebensächlich erscheinen, lässt sich an den über siebzig wissenschaftlichen Aufsätzen erkennen, die die beiden gewichtigen Teilbände mit je nahezu 800 Seiten vereinen.

Helden-Idee und -Versprechen, Anforderungen besonders an den Mann als Helden, Anti-Heldentum, Opfer, Verlust, Verzweiflung, Mythisierung und der Tod als Bedingung von Heroisierung sind der Sache nach die Kerngegenstände der Bände. Grundlegend für die heutige Idee des Heroischen ist dabei, dass dies von außen zugewiesen wird, weniger die denkbare Interpretation durch die Handelnden selbst,3 eher die Vorstellung, dass ein „selbst- und geschichtsmächtiger […] Charakter[…], der sein subjektives Wollen in das Ganze einer Handlung objektiviert“4, als Idee des bürgerlichen Subjekts in der bürgerlichen Gesellschaft ein Phantasma bleibt. Nicht zu bestreiten ist indes, dass die Kriegführung im Ersten Weltkrieg mit Mythisierungen einherging, die sowohl Heeresführer wie den einzelnen Soldaten betrafen, der idealiter einen „eisernen Willen“ zu besitzen hatte, durch welchen er zum Helden erwuchs.5 Dem entgegen stand schließlich die Einsicht vieler Soldaten im Feld in die Tatsache, dass „der Krieg nicht nur ein schreckliches, sondern auch ein anonymes Grauen darstellte“6, in dem Heldentum sich schwer bemerkbar machen kann. Die Perspektiven von G. Seybert und Th. Stauder sind aus dieser Richtung gedacht und daher kulturwissenschaftlich, der theoretische Rahmen ist mentalitätshistorischer und gedächtnistheoretischer Art. Hinzu treten Gender-Theorie, nicht nur der Rollenverteilung im Krieg wegen, sondern auch da Heroik und Männlichkeit aufs Engste gekoppelt sind, daneben literatursoziologische, xenologische und intermediale Herangehensweisen. Kulturwissenschaftlich ist auch, einzelne Personen zu Wort kommen zu lassen bzw. die Dokumente von Frauen und Männern systematisch zu untersuchen, die nicht Funktions- oder Entscheidungsträgerinnen oder -träger waren und nicht als Künstler, Künstlerinnen oder Intellektuelle Bekanntheit erlangten. Damit ist die dritte programmatische Entscheidung von Heroisches Elend benannt, die Hinwendung zu Lyrik, Drama, Presse, bildender Kunst, Musik, Narrativik auch in „kleinen“ Werken und punktuellen Äußerungen, in denen deutlich wird, dass – um nur ein Beispiel zu nennen – auch bei positiver Haltung zur Nation, derer das neue Italien so dringend bedurfte, kritische, antimilitaristische Positionen möglich waren, wie jene von Gian Pietro Lucini, dessen Schriften Stefano Magni (Aix-Marseille) analysiert (I, 519–35). Das Ziel, neue Quellen zu erschließen und wenig bekannten Stimmen Gehör zu verschaffen, ist im Fall dieses Buch-Projekts voll aufgegangen.

Thomas Stauder führt im Vorwort, einem einleitenden Grundlagenkapitel, einleuchtend von der „Höhe nie da gewesener Zahl von Menschenopfern“ (23) zum Dilemma „der männlichen Kriegsteilnehmer zwischen traditionellem ,Heldentumʻ und anonymem Massensterben“ (40) hin. Er erläutert die Legitimationsprobleme des Heldischen, des Heldenkults und des Heldentods für das 20. Jahrhundert, die bekanntermaßen zum einen mit den neuen Kampftechniken des Ersten Weltkriegs und den Zahlen der in den Krieg involvierten Personen zu tun haben, zum anderen mit einem weltfremden Bild von Mann und Männlichkeit, mit Erwartungen an die Soldaten (auch dieser an sich selbst) zusammenhingen, so beispielsweise der der französischen Soldaten, die hofften, bald nach Kriegsbeginn als „vainqueurs pour la grande gloire de la France“ (Thabette Ouali (Tunis), I, 702) nach Hause zurückzukehren und im Roman Les Croix de bois (1919) von Roland Dorgelès schließlich nichts anderes als den Tod selbst repräsentieren (vgl. I, 711).

Im genannten Vorwort von Stauder, „Der Erste Weltkrieg aus gesamteuropäischer und kulturwissenschaftlicher Sicht“, legt der Herausgeber die Konjunkturen der verschiedenen nationalen, vor allem der deutschen und französischen Gedenktraditionen dar. Aufgehängt am Beispiel der Orte und Topoi „Versailles“ und „Verdun“ erläutert er die gegenläufige Symbolpolitik von Gedenkweisen und erklärt, was mit welchen Mitteln für Gegenwart und Zukunft festgehalten wird. Dabei führte der Weg, was Frankreich und Deutschland betrifft, von extremen Diskrepanzen zur aktuellen Zusammenführung der Erinnerungslinien. Instruktiv verbindet Stauder anschließend die Beobachtungen zu Museen und Ausstellungen in Frankreich, Deutschland, Italien und Großbritannien mit der Entwicklung von Patriotismus und Versöhnungswillen. Rezeptionsfreundlich sind die Kurzzusammenfassungen der Beiträge im zweiten Teil des Vorworts, das mit den Worten schließt, dass im „Oxymoron ,heroisches Elendʻ […] nunmehr der zweite Teil ganz eindeutig die Oberhand gewonnen habe“ (52). In der Tat: Wer nicht völlig verbohrt ist, sieht a potiori das Leid, den Schmerz, die Wut und die Trostlosigkeit, die der Einzelne im Krieg empfinden musste, unabhängig davon, ob bestimmte Akte beispielsweise als mutig und in diesem Sinne „heldenhaft“ aufzufassen sind. Kritisch zu sehen sind schließlich nicht eigenständige Handlungen der Rettung, der Auflehnung oder der geschickten Intervention in je eigenen Handlungszusammenhängen, sondern die Verpflichtung des Soldaten, im Kampf für die Nation bis zur Selbstzerstörung zu gehen („denn wir gehen, das Vaterland zu schützen! […] Deutschland muß leben, und wenn wir sterben müssen.“7 – So Heinrich Lersch in seinem Gedicht „Soldatenabschied“, verfasst am 2. August 1914). Die Funktion steht in der Kritik, nicht der Einzelne, die Ideologie, nicht ein herausragender Akt, die Lüge, nicht Entschlossenheit und Durchhaltevermögen oder andere Charakteristika außergewöhnlicher Handlungen.

Im Zentrum der Beiträge stehen die Vorhersage dieses „Elends“, der Zusammenbruch von Ideen, die die „heldischen“ Ansprüche an den Einzelnen integrierten, und, wie Gislinde Seybert im Vorwort „Zur Entstehungsgeschichte dieses Projekts“ schreibt, „die geistige Verarbeitung dieses Konflikts, in dem die Zerstörungskraft und -wut einer immer weiter getriebenen Technologie unkontrolliert freigesetzt wurden“, welche „die Kraft des menschlichen Geistes im Guten wie im Bösen“ beweist (I, 21). In ihrer persönlichen Ansprache zeigt Seybert, dass Wissenschaft nicht aus dem objektiven Nichts entsteht, sondern am Beginn eben der „Augenpunkt“8 von Interessierten steht, die manchmal insistieren müssen, um ihr Anliegen durchzusetzen, motiviert in diesem Fall explizit pazifistisch.

Arnd Bauerkämper (Berlin) eröffnet die Serie der thematischen Einzelbeiträge im Band I, Kap. Gedächtnisreflexionen. Ähnlich wie Thomas Stauder schlägt er in „Zwischen nationaler Selbstbestätigung und Universalisierung des Leids – Der Erste Weltkrieg in intellektuellen Diskursen, in der Geschichtsschreibung und Erinnerung“ (63–93) einen sehr großen Bogen. Mit beeindruckender Sachkenntnis stellt Bauerkämper Einzeldokumente, z.B. den Aufruf An die Kulturwelt vom Oktober 1914 oder das Musical Oh! What a Lovely War (Joan Littlewood, 1963), in den Gesamtzusammenhang erinnerungskultureller Bewegungen. Aufschlussreich verzeichnet er die Wellengänge zwischen Überhöhung und Demythisierung, um schließlich den Verlust der „Orientierungsfunktion für das Handeln und Verhalten“ (82) zu konstatieren, wobei bemerkenswert bleibt, dass „die Konzentration auf das heldenhafte Opfer“ erst in den 1980er Jahren „nahezu vollständig aufgegeben“ wurde (82). Er profitiert von den Recherchen für seine wegweisenden Untersuchungen Das umstrittene Gedächtnis – Die Erinnerung an Nationalismus, Faschismus und Krieg in Europa seit 1945 (2012) und Der Faschismus in Europa, 1918-1945 (2006), seiner in Publikationen erkennbar weitverzweigten Wissbegierde und dem Talent der konzisen Zusammenschau. In seinem Beitrag macht er geltend, dass der Erste Weltkrieg in europäischen Ländern, v.a. aber in Frankreich, einen für das kollektive Selbstverständnis zentralen Stellenwert einnahm und einnimmt. Der Historiker führt unzählige Aspekte an, die die kollektivhistorische Rezeptionsgeschichte bestimmten, von der Außenpolitik zu Kommissionen und geschichtsbildlenkenden Institutionen, zu denen auch Wissenschaften zu zählen sind, insbesondere aber die von Stauder ebenfalls aufgeführte Institution des Museums und die Steuerung der Errichtung von Denkmalen (inklusive der Nicht-Errichtung von Denkmalen, so in Russland; vgl. 81). Aus militär- und kulturgeschichtlicher Sicht zeigt Bauerkämper, wie der Glaube an das heldenhafte Opfer abhanden kam, erst recht die nationalchauvinistische Nabelschau, hingegen auch, wie momentan das nationale Gedenken mit der jeweiligen Vergangenheitsinterpretation an das „Leitbild“ des „leidende[n] Opfer[s]“ (84) anknüpft, als eines, das ganz Europa betraf (vgl. 83). Damit werden weder Verdrängen noch Verwischen von Verantwortung und Schuld befürwortet, gemeint ist sicher auch nicht, dass die Konsequenzen jenseits von Europa historisch nicht ins Gewicht fallen. Relevant im Kontext der Ziele von G. Seybert und Th. Stauder erscheint vielmehr – auch sehr konkret politisch – die Beobachtung, dass die einstigen europäischen Gegner im transnationalen Prozess die Gräben von einst überwinden wollen, sei es auch, wie der Historiker Bauerkämper unter Verweis auf Tony Judts Postwar – A History of Europe Since 1945 (2006) festhält, um den Preis von „Ikonisierung“ und „Enthistorisierung“ (84).

Ebenfalls einen großen Bogen schlägt der Geschichtswissenschaftler Mark Connelly (Canterbury) mit „Trench warfare: the Great War in British life, from 1919 to the present“ (I, 317-32). Connelly unterscheidet zwei Stränge der britischen Rezeptionsgeschichte, den populären und den akademischen, zeigt etappenweise die Entwicklung der Haltung zum Ersten Weltkrieg, dessen Vorzeit gemeinhin als geradezu idyllisch angesehen wird, eine Sicht, die Literatur und Film befördern, deren Ende er hingegen als Ende der Illusion der „splendid isolation“ beschreibt, in der Großbritannien sich lange wähnen durfte (330).

Hat A. Bauerkämper für Heroisches Elend mit seinem sowohl systematisch vorwärtsschreitenden wie inhaltlich weit greifenden Aufsatz eigentlich ein Buch im Kleinen verfasst, besticht „Gefühle und Töten im Krieg“ des Literaturwissenschaftlers Bernd Hüppauf (New York) durch die Verve, mit der er Fragen ins offene Nichts schickt, temperamentvoll Kritik an der „Kriegsgeschichte der Moderne“ (100) übt, Literatur, Zeichnung und Fotographie integriert und spitz auf methodische Probleme der Kriegsforschung, z.B. die Übertragbarkeit individualpsychologischer Erkenntnisse auf Gesellschaften verweist, hier in Bezug auf das Gefühl der Angst. In seinen Ausführungen, die sich als Teil einer Kulturgeschichte des Kriegs verstehen – dies nicht zuletzt auf der Basis zahlreicher Einzelarbeiten zum Ersten Weltkrieg, zum Expressionismus und demletzt der Monographie Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs (Bielefeld, 2013) –, macht er vor Kritik an älteren Positionen, so der von Hannah Arendt in Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft (1951), und jüngeren Positionen nicht halt. Letzteres betrifft hier gleich eingangs die von Cora Stephan in Das Handwerk des Krieges (1998), deren Äußerung zur „Zivilisierung des Kriegs“ durch Rationalisierung er scharf widerspricht (vgl. 96, 106). Das Verhältnis von Vernunft und Gefühl steht im Mittelpunkt von Hüppaufs Überlegungen zu Emotionen, Tod und Zerstörung. Exemplarisch wird die Funktion der Repräsentation des emotionalen Verhältnisses zum Töten als Ursache völlig konträrer Kriegsdarstellungen an Ausschnitten aus Ernst Jüngers Das Wäldchen 125 (veröffentlicht 1925) und aus Im Westen nichts Neues (1928) von Erich Maria Remarque herausgestellt. Mit Blick auf moderne Techniken der Kriegführung unterstreicht Hüppauf die Rolle der Emotionen für Entscheidungen, stellt sich damit ihrer latenten Abwertung und Unterschätzung entgegen und plädiert für ihre Einbindung in Werturteile, die konkreten militärpolitischen Entschlüssen und akut einer „Moral für die neuen Formen des Kriegs und insbesondere den Krieg der Drohnen“ (134) zugrunde liegen sollen.

Rémy Cazals (Toulouse) liefert den dritten Beitrag in Heroisches Elend. Dem Historiker verdankt die Erste-Weltkriegs-Forschung viel, gerade bezüglich der Veröffentlichung und Wertschätzung marginalisierter Texte als Quellen der geschichtswissenschaftlichen Arbeit. Sein Beitrag legt den Parcours von Jean Norton Crus Témoins (1929) bis zu heutigen Publikationsmechanismen dar. Am Ende pocht Cazals noch einmal auf den Wert von Zeugnissen zum Krieg 1914-1918, die erst das „Funktionieren der Gesellschaft zu ihrer Zeit“ („le fonctionnement de la société de l’époque“, 153) weiter erhellen könnten. Dies Plädoyer ist ein Aufruf gegen Uniformisierungstendenzen in der französischen und europäischen Geschichtswissenschaft. Er wird in Heroisches Elend unmittelbar erhört, indem im Band I im Unterkapitel Briefe, Tagebücher und Berichte von Zeitzeugen als historische Quellen mehrere unbekannte Tagebücher, Briefe, Zeichnungen und Fotographien zu entdecken sind. Überzeugend ist in diesem Teil die sorgfältig argumentierende Untersuchung der französischen Schützengrabenzeitungen durch Loredana Trovato (Enna, Sizilien). Ab Ende 1914 von den „poilus“ selbst verfasst und verbreitet entstehen an den Fronten Zeitungen, die in einigen Fällen über Jahre hinweg erscheinen, so beispielsweise Cingoli-Gazette oder Rigolboche. Das Medium Zeitung ist an sich bereits komplex, die Entstehungsbedingungen vereinfachen die mediale Konstitution der Journeaux des tranchées nicht und die Zielsetzungen der Ablenkung, Aufheiterung und des Spotts verlangen den Autoren einiges ab. Wie sich dies vor allem sprachlich niederschlägt, zeigt Trovato in Bezug auf die Wahl von Titel und Untertitel dieser Presse, auf Wortspiele und die eigene Lexik. Sie konstatiert die Kreation eines eigenen Idioms, die ihren Wert nicht nur für den Augenblick der Lektüre hat, „parce que créer veut dire vivre“ (220).

Es folgen in diesem Teil das Unterkapitel Erinnerungstraditionen und Gedächtnisorte, dann Das symbolische Kapital der Intellektuellen (ebenfalls in drei Unterkapitel aufgeteilt), Menschenbild und Geschlechterrollen, im Band II Der erste Weltkrieg und die Parameter der Psychoanalyse, Literarische Darstellungen des Ersten Weltkriegs und als sechste große Partie Spuren des Ersten Weltkriegs in nichtliterarischen Medien.

Im großen Untersuchungsraum vonHeroisches Elend finden in deutscher, französischer und englischer Sprache verfasste Einzelstudien ihren Platz. Sie sind von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfasst, die an Universitäten, im Schuldienst oder auch just an den Institutionen beschäftigt sind, um welche es wegen ihrer geschichtspolitischen Funktion der Herausgeber-Equipe geht: Museen, Europäisches Parlament, Brecht-Forschungsstätte Augsburg, Bund der Deutschen Katholischen Jugend, Bibliothèque nationale de France und viele andere mehr. Exemplarisch aufgeführt seien die Analyse des „kosmopolitischen“ Tagebuchs von Constance Graeffe durch Sophie De Schaepdrijver (Pennsylvania State University; I, 157–72), die Untersuchung des Frauenbilds in der Revue hebdomadaire von Agnès Sandras (Paris; II, S. 815–35), die Studie zur Änderung des Berufsbilds und der Berufssituation von Lehrerinnen in unveröffentlichten Ego-Texten von Loukia Efthymiou, (Athen; II, 857–71), der neue Blick auf die Skulpturen Trauernde Soldaten von Emil Krieger auf dem deutschen Soldatenfriedhof von Langemarck und Die Eltern von Käthe Kollwitz auf dem Soldatenfriedhof Vlaslo durch Karen Shelby (New York; II, 1451–75) und die Untersuchung der Liedtexte der Chansonnière Mylène Farmer, wie der Autor Michel Arouimi (Dunkerque) sagt, „un peu simplement qualifiée de ,gothiqueʻ“ (1495), welche eine befremdliche Nähe zu Worten und Gedanken von Ernst Jünger aufweisen, dem, wie man weiß, die französische Kultur gerne den roten Teppich ausrollt. Die feinen Verbindungen zwischen den Chansons, Im Stahlgewitter und anderen Werken Jüngers, der Assoziationsreichtum des Literaturwissenschaftlers und Komparatisten, die Art und Weise, in der er seine Gedanken vorwärts treibt, der Kenntnisreichtum und Sinn fürs Düstere der Poesie (man vgl. Arouimis Jünger et ses dieux, 2011), heben diesen Beitrag von schüchterneren Arbeiten ab.

Heroisches Elend bleibt folglich nicht bei den unmittelbar mit dem Krieg verbundenen Ereignissen stehen, sondern zeigt die Funktion der Medien für die Weitergabe und Formung von Wissen und Standpunkten anhand einer Vielzahl von Beispielen auf. Die Idee des Heldenhaften kommt in sehr unterschiedlicher Weise zum Vorschein, von den manifesten Gedenkriten am Arc de Triomphe bis hin zum metaphorischen Mausoleum, das Mylène Farmer dem unbekannten Soldaten im Lied „Aime“ erbaut (Arouimi, II, 1502) und der „Horror-Ästhetik“ im Comic, wie sie von Anne Cirella-Urrutia (Austin, Texas) auch unter transgenerationalen Aspekten untersucht wird. Der geographische Raum bleibt West- und Mitteleuropa. Polen, die Tschechische bzw. Tschechoslowakische Republik, die 1918 unabhängig wurden, oder weitere ost- bzw. mittelosteuropäische Länder, Russland und Südosteuropa treten nicht oder nur am Rande in den Blick. Der westliche europäische Raum wird indes in diesen Bänden aus der Distanz von hundert Jahren nach Kriegsbeginn vom Blickpunkt der Herausgeberin und des Herausgebers aus als ein Raum erschlossen, in dem „Einzeldinge“9, aber auch größere Zusammenhänge den ihnen zukommenden Rang für das aktuelle kulturell vermittelte Geschichtsbild des Ersten Weltkriegs finden. Es entstehen in der Zusammenschau schließlich Verbindungen von Fragen und Konvergenzen von Sachverhalten, die in ihren Bezügen neu und vielversprechend ungewöhnlich sind.


  1. Albrecht Dürer, zit. n. Erwin Panofsky, „Die Perspektive als ,symbolische Formʻ“, in: Erwin Panofsky, Aufsätze zu Grundfragen der Kunstwissenschaft, hrsg. von Hariolf Oberer und Egon Verheyen (Berlin: Volker & Spiess, 1980), 99–167, hier 99.

  2. Panofsky, „Die Perspektive als ,symbolische Formʻ“, 123.

  3. Wie zum Ursprung des heroischen Bewusstseins durch die Akteure Michael Naumann in Strukturwandel des Heroismus: vom sakralen zum revolutionären Heldentum (Königstein/Ts.: Athenäum, 1984) vorschlägt.

  4. Renate Martinsen, Der Wille zum Helden: Formen des Heroismus in Texten des 20. Jahrhunderts (Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag, 1990), 9.

  5. Vgl. hierzu auch das Kurzkapitel „Helden“ in Gerhard Henke-Bockschatz, Der Erste Weltkrieg: eine kurze Geschichte (Stuttgart: Reclam, 2014), 134–6.

  6. Benjamin Ziemann, Gewalt im Ersten Weltkrieg: Töten – Überleben – Verweigern (Essen: Klartext, 2013), 51.

  7. Heinrich Lersch: „Soldatenabschied“, in: Steffen Elbing, Heinrich Leersch (1889–1936): eine literaturpolitische Biographie (Bielefeld: Aisthesis Verlag, 2015), 316.

  8. Panofsky, „Die Perspektive als ,symbolische Formʻ“, 124.

  9. Panofsky, „Die Perspektive als ,symbolische Formʻ“, 99.





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