Tagungsbericht: „Dialogische Krimianalysen: Fachdidaktik und Literaturwissenschaft untersuchen aktuelle Kriminalliteratur aus Belgien und Frankreich“

Corinna Koch, Sandra Lang und Sabine Schmitz

Über Möglichkeiten des Austauschs und der Zusammenarbeit von Fachdidaktik und Literaturwissenschaft, bei denen beide als gleichberechtigte Dialogpartner agieren, wurde bereits vor zehn Jahren in dem Sammelband Literaturdidaktik im Dialog auf vorwiegend theoretischer Ebene nachgedacht.1 Tatsächlich findet bis heute ein solcher Dialog für die Schulfremdsprachen jedoch kaum statt. Dies gilt insbesondere für das Französische, für das sich bisher keine eigenständige Literaturdidaktik herausgebildet hat.2 Ein besonderes Desiderat ist somit ein gegenstandsbezogener Dialog zwischen Literaturwissenschaft und Fachdidaktik, der die wenigen bisher vorliegenden abstrakten Ansätze konkretisiert und erweitert.

Als Gegenstand des angestrebten Dialogs zwischen romanistischer Fachdidaktik und Literaturwissenschaft eignet sich die Kriminalliteratur Frankreichs und Belgiens in besonderem Maße, da roman und film noir, littérature und BD policière in beiden frankophonen Ländern einen herausragenden Platz im kulturellen Referenzsystem einnehmen. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie Anlass sind für Festivals, kanonische Buchreihen, Preise und eine Bibliothek, die Pariser BiLiPo (Bibliothèque des littératures policières). Zugleich sind Kriminalroman, -film und -comic aufgrund ihres hohen kulturellen Stellenwerts und ihrer gattungsspezifischen Merkmale Gegenstand einer breiten literaturwissenschaftlichen Forschung und verfügen aus den gleichen Gründen über ein großes Potential für den fremdsprachlichen Französischunterricht.

Vor diesem Hintergrund betraten zwölf Romanist/innen mit der Tagung „Dialogische Krimianalysen: Fachdidaktik und Literaturwissenschaft untersuchen aktuelle Kriminalliteratur aus Belgien und Frankreich“ in fachsystematischer Hinsicht Neuland. Organisiert wurde die Tagung von Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Sabine Schmitz, Fachdidaktikerin Jun.-Prof. Dr. Corinna Koch und Sandra Lang, Doktorandin an der Schnittstelle zwischen Literaturwissenschaft und -didaktik (alle Universität Paderborn). Erstmalig wurde damit ein kooperatives Format erprobt, in dem in kleinen Teams Fachdidaktiker/innen und Literaturwissenschaftler/innen jeweils ein Themenfeld gemeinsam erarbeiteten und das Ergebnis im Kolloquium zur Diskussion stellten.

Im Vorfeld der Tagung fand im Rahmen eines Seminars von Sabine Schmitz ein Workshop für Studierende statt. Darin leitete Marc Blancher (Universität Tübingen), Autor von Kriminalromanen, Kriminalerzählungen und Lernkrimis, die Studierenden beim Schreiben einer eigenen Kriminalgeschichte an. Die Studierenden nahmen gemeinsam die Konzeption der Figuren vor und entwarfen die Handlung, bevor sie arbeitsteilig einzelne Kapitel ausgestalteten.

Bei der anschließenden Tagung wurden verschiedene Themenfelder einer gemeinsamen interdisziplinären Analyse unterzogen: Im ersten Vortrag zu Gattungen des Kriminalromans untersuchten Christof Schöch (Universität Würzburg) und Sandra Lang (Universität Paderborn) bestehende Gattungstypologien, wobei beide Perspektivierungen auf eine Zuordnungsproblematik verwiesen. Das Problem der Einordnung individueller Kriminalromane in Subgattungen wird sowohl zum Zweck einer digitalen, quantitativen Untersuchung als auch bei der Frage nach der Nutzbarkeit von Gattungstypologien für methodisch-didaktische Entscheidungen evident. Im zweiten Vortrag analysierten Ralf Junkerjürgen (Universität Regensburg) und Christoph Oliver Mayer (Technische Universität Dresden) die Konstruktion von Spannung im Kriminalroman Sueurs froides [D’entre les morts] von Boileau-Narcejac, der von Alfred Hitchcock unter dem Titel Vertigo verfilmt wurde. Die aufgezeigten Konzepte suspense, mystery und disquiet eignen sich sowohl, um einen Text syntagmatisch auf Spannungsstimuli zu untersuchen, als auch, um im Französischunterricht ein Verständnis für Strategien der Spannungsherstellung zu erarbeiten. Sabine Schmitz (Universität Paderborn) und Lutz Küster (Humboldt-Universität zu Berlin) analysierten in ihrem Vortrag „Ermittlungsmethoden im Kriminalroman“ die Methode der Abduktion in Fred Vargas’ Kriminalroman Debout les morts und stellten auf dieser Basis Parallelen zwischen abduktiver Ermittlungstätigkeit und fremdsprachlichem Verstehen und Lernen her. Jeanne Ruffing (Universität des Saarlandes) und Marc Blancher (Universität Tübingen) zeigten anhand des Romans Total Khéops von Jean-Claude Izzo die Verhandlung interkultureller Prozesse im Kriminalroman auf und präsentierten eine Vielzahl konkreter Unterrichtsvorschläge zum Roman. Dabei wurde deutlich, dass der in vielen ethnischen Kriminalromanen angelegte didaktische Impetus im Unterricht nicht nur als dankbares Vehikel genutzt werden sollte, sondern auch zu dekonstruieren ist. Christian von Tschilschke (Universität Siegen) und Dagmar Abendroth-Timmer (Universität Siegen) untersuchten die Prozesse der Zuschauerlenkung im Justizthriller Omar m’a tuer von Roschdy Zem und verorteten das didaktische Potenzial des Kriminalfilms in dem vom Film eröffneten ethisch-normativen Spannungsfeld. Die Frage nach Schuld und Unschuld, Wahrheit und Lüge wird im Justizthriller in besonders deutlicher Form präsentiert und erweist sich als sehr fruchtbar für mediendidaktische und persönlichkeitsbildende Ansätze. Marie Weyrich (Universität Paderborn), Marc Blancher (Universität Tübingen) und Corinna Koch (Universität Paderborn) widmeten sich im abschließenden Vortrag der Analyse des Zusammenspiels von Atmosphäre, Handlungsort, Spannung und Figurengestaltung im Krimicomic Casse-pipe à la Nation von Léo Malet und Jacques Tardi. Die Analyse überführten sie in Aufgabenstellungen für den Französischunterricht, die comic- und krimitypische Besonderheiten vereinen.

Im Laufe der Tagung wurden somit gattungstypologische, narratologische, strukturelle und inhaltliche Merkmale der Gattung Kriminalliteratur jeweils aus fachdidaktischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive untersucht sowie die Spezifika von Kriminalfilm und Kriminalcomic und das ihnen inhärente fremdsprachendidaktische Potenzial ausgelotet. Die Zusammenarbeit in den interdisziplinären Teams führte nach Einschätzung aller Teilnehmenden dazu, dass sich die jeweiligen fachspezifischen Perspektiven komplementär ergänzten oder gemeinsam neue Ansätze entwickelt wurden. Die teils überraschenden Synergieeffekte, die aus der Zusammenarbeit der Teams aus Fachdidaktiker/innen und Literaturwissenschaftler/innen hervorgingen, sowie die positive Beurteilung des innovativen Formats durch alle Vortragenden und Tagungsgäste bestärken das Vorhaben, das Tagungsformat durch konkrete textbasierte Arbeitstagungen zum Gebiet der französischen Literaturdidaktik in einem Zweijahresrhythmus fortzuführen. Die Ergebnisse der Tagung werden in einem Sammelband vorgestellt. Der Tagungsband richtet sich gleichermaßen an Literaturwissenschaftler/innen, Fremdsprachendidaktiker/innen, Lehrer/innen, Referendar/innen und Lehramtsstudierende des Faches Französisch.


  1. Lothar Bredella, Werner Delanoy und Carola Surkamp, Literaturdidaktik im Dialog (Tübingen: Narr, 2004).

  2. Daniela Caspari, „Literarische Texte im Französischunterricht: Rückblick und Ausblick“, Fremdsprachen lehren und lernen 37 (2008): 109–23, hier 113.





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