Heldentum und Heroisierungsstrategien in Alberto Rondallis Film anita e garibaldi

Robert Lukenda

anita e garibaldi: antes de heróis (de.: garibaldi – held zweier welten), DVD, Regisseur: Alberto Rondalli, portugiesisch (Polifilmes, 2013).

Wie der für seine Arbeiten zu luoghi della memoria bekannte Historiker Mario Isnenghi vor einigen Jahren in einem Essay bemerkte, ist es mittlerweile in der italienischen Öffentlichkeit nicht unüblich, „schlecht über Garibaldi zu sprechen“.1 Zwar hat das Land ein ambivalentes Verhältnis zur eigenen nationalen Vergangenheit und tut sich mit einer konsensfähigen Deutung der vielfach politisch instrumentalisierten und ideologisch verklärten Geschichte traditionell schwer – wie etwa 2007 anlässlich der Feiern zum zweihundertjährigen Geburtstag des Einigungshelden Giuseppe Garibaldi sowie auch einige Jahre später beim umfangreichen Festprogramm zum einhundertfünfzigjährigen Staatsjubiläum 2011 zu beobachten war. Dennoch hat Isnenghi eine neue Vehemenz konstatiert, mit der separatistische und populistische Gruppierungen wie die Lega Nord ihre antinationalen Gegen-Erinnerungen artikulieren. Diese schrecken auch nicht davor zurück, den Vorkämpfer für die Einheit Italiens pauschal zum Urheber sämtlicher politischer Missstände in Italien zu erklären und ihn schlichtweg als Kriminellen zu deklarieren.

Trotz bzw. vielleicht auch gerade wegen der zunehmend aggressiveren Demontage der nationalen Einheitssymbole in Teilen von Politik und Gesellschaft und der schon 1978 erfolgten Ausrufung des „post-risorgimentalen“ Zeitalters2 hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten das Interesse der Forschung am Mythos Garibaldi nachhaltig belebt. Ein Grund hierfür dürfte sicherlich das europaweit zu beobachtende Interesse für das Thema der nationalen Identität sein. Eine große Rolle mag auch der zunehmende Einfluss der Kultur- und Medienwissenschaften innerhalb der Historiographie sein, wobei mit den Schwerpunkten ‚kollektives Gedächtnis‘ und ‚Erinnerungskulturen‘ Forschungsfelder entstanden sind, die nach wie vor Konjunktur haben. In diesem Zusammenhang sind nicht zuletzt die Fiktionalisierungs- und Mythisierungsstrategien, mediale und narrative Facetten, die Garibaldi zu einem der ersten globalen Stars der politischen Moderne machten, in den Fokus gerückt.3

Erstaunlich hartnäckig behauptet sich der ‚Mythos Garibaldi‘ zudem als Bestandteil einer zeitgenössischen Populärkultur, in Italien wie auch etwa in Südamerika: nicht nur was die Benennung von Straßen und Plätze angeht, liegt der Name Garibaldi weit vorne. Auch cantautori und Rockgruppen haben ihm zahlreiche Lieder und songs gewidmet. Zudem ist Garibaldi eine der meistverfilmten historischen Persönlichkeiten Italiens. Eine kurze Internet-Recherche ergab 21 Verfilmungen, darunter auch südamerikanische Produktionen wie eine brasilianische Telenovela mit immerhin sechzig Episoden (garibaldi, l’eroe dei due mondi, Originaltitel: a casa das sete mulheres, Brasilien 2003)4 – nichts Ungewöhnliches, zumal der Revolutionär eine Figur ist, die im historischen Gedächtnis Südamerikas ihren festen Platz hat (Statuen Garibaldis finden sich beispielsweise auf Plätzen in Brasilien und Argentinien, und in Uruguay gibt es ein Garibaldi-Museum). Bekanntermaßen erwarb er sich schon zu Lebzeiten den Beinamen ‚Held zweier Welten‘, weil er seine revolutionäre Karriere in Südamerika startete und sich mit einer Gruppe italienischer Exilanten in Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen in Brasilien und Uruguay engagierte. Auch nach seiner Rückkehr nach Italien präsentierte sich Garibaldi in der Öffentlichkeit gerne in der Kluft eines Gaucho und kultivierte damit gezielt sein Image als freiheitsliebender Einzelgänger, der auf zivilisatorische Annehmlichkeiten und eine bürgerliche Lebensweise verzichtet und seine Existenz voll und ganz dem Kampf gegen Absolutismus und Tyrannei widmet. Damit traf er auch im Europa des 19. Jahrhunderts den Geschmack eines durch die romantische Literatur geprägten Publikums, das nach unkonventionellen Helden verlangte).

Seit 2013 existiert mit anita e garibaldi des italienischen Regisseurs Alberto Rondalli (dt. garibaldi: held zweier welten) nun eine weitere brasilianische Produktion, die sich mit Garibaldis Engagement in Südamerika befasst. Genau gesagt: mit seiner Rolle im Unabhängigkeitskampf der kleinen Republiken Rio Grande do Sul und Santa Catarina vom brasilianischen Kaiserreich. Damit wird hier ein Lebensabschnitt beleuchtet, der Garibaldis Ruf als Revolutionär und mutiger Freiheitskämpfer begründete und der nicht zuletzt in seinen 1872 veröffentlichten Memoiren zum Gegenstand romantischer Verherrlichung avancierte. Wie es der Originaltitel bereits aussagt, steht jedoch nicht allein die Figur des Revolutionärs und seine Heldentaten, sondern die Beziehungsgeschichte des Paares Anita und Giuseppe Garibaldi im Mittelpunkt des Geschehens (einen Nebenschauplatz bildet Garibaldis Freundschaft zum ebenfalls italienischstämmigen Revolutionär Luigi Rossetti, gespielt von Antonio Buil Pueyo). Insofern liegt die deutsche Übersetzung mit dem Titel garibaldi: held zweier welten inhaltlich daneben. Garibaldi hatte während seiner Zeit in Südamerika die Brasilianerin Ana Maria de Jesus Ribeiro da Silva, genannt „Anita“, kennengelernt und geheiratet. Anita sollte ihn fortan auf seinen revolutionären Expeditionen begleiteten. Nach Garibaldis Rückkehr nach Italien und dem gemeinsamen Engagement in der Verteidigung der Römischen Republik von 1849 starb sie auf der Flucht vor den feindlichen österreichischen Truppen nahe der Lagune von Comacchio.5 Nicht zuletzt aufgrund dieses tragischen Ereignisses bekam Garibaldis Vita damit den Stempel der Leidensgeschichte aufgedrückt. Auch in dieser Hinsicht erschien sein Leben den Zeitgenossen als romantisch-tragisches Melodram – „da liebt man den Helden und weint mit ihm“, wie schon seine Bewunderin George Sand bemerkte.6

Vorab sei angemerkt, dass dieser Fokus auf der Beziehung und dem Gefühlsleben des Helden und seiner Partnerin auf einen zentralen Bestandteil des Mythos Garibaldi rekurriert, der schon im 19. Jahrhundert seine Popularität sicherte: Auf den Schlachtfeldern der nationalen Revolution brillierte ein „Ritter“, der mit den Worten George Sands nicht nur durch die „hinreißende […] Kraft seines patriotischen Glaubens“, sondern zugleich durch sein „edles Aussehen“7 Aufmerksamkeit weckte – ein tapferer Kriegsheld, der sich zugleich jedoch als viriler, einfühlsamer Mann gab und die interessierte Öffentlichkeit auch an seinem Seelenleben teilhaben ließ. Das Bild des charismatischen, gutaussehenden Revolutionärs, der die „Frauen liebte“8, wurde von einer Vielzahl an Biographen, Journalisten und Begleitern Garibaldis gepflegt und auch in den Reihen der demokratisch orientierten Nationalbewegung in Italien kultiviert, um die Massen für die revolutionären Ziele zu begeistern. In weiten Teilen ging es jedoch auf Garibaldis persönliche Selbstinszenierung zurück, zumal er nicht nur zahlreiche Biographen bereitwillig mit intimen Details aus seinem Gefühls- und Liebesleben versorgte, sondern auch selbst als in seinen Memoiren Einblicke in sein Gefühls- und Liebesleben offenbarte.9

Insofern scheint es als durchaus passend, wenn sich der Film dezidiert an die Memoiren bzw. die memorialistische Perspektive Garibaldis anlehnt:

So beginnt die Handlung nach einer einführenden Sequenz historischer Stiche, in denen der historische Ereignishorizont des Filmes (1839–1849) festgehalten ist – gezeigt werden u.a. Zeichnungen, die Garibaldis Engagement für die Unabhängigkeit der Republiken Rio Grande do Sul und Santa Catarina (1839) darstellen, Szenen aus dem Familienleben mit Anita und den gemeinsamen Kindern, ihre gemeinsame Rückkehr nach Italien bis zur Flucht aus Rom und Anitas Tod (1849) – mit dem Bild des gealterten Garibaldi (Gabriel Braga Nunes), wie er einsam in einem Zimmer seine Memoiren niederschreibt. Damit entspinnt sich die Handlung aus einem Prozess persönlicher Erinnerung, aus dem Blickwinkel des Helden, der die Geschichte seiner Beziehung zu Anita im Zusammenhang der dramatischen politisch-militärischen Ereignisse rekapituliert. Garibaldis Erinnerungen setzen bei der Flucht des Paares aus Rom ein. Diese erste Sequenz persönlicher Vergangenheitseindrücke schließt mit dem Bild der todkranken Anita (Ana Paula Arosio) auf einem Schiff vor der Küste Ravennas und nimmt damit, ohne dass ihr Tod jedoch zu sehen ist, das tragische Ende ihrer Beziehung bereits vorweg.

Unvermittelt erfolgt dann die Rückblende in das Jahr 1839: Gezeigt wird das Heimatdorf Anitas im brasilianischen Urwald und damit der Ausgangspunkt ihrer Liaison. Präsentiert wird die junge Anita, wie sie ihren alltäglichen Geschäften nachgeht, ihr Boot über einen Fluss steuert, um ihrem deutlich älteren (ersten) Ehemann – einem Schuster – das Essen zu bringen. Der Film zeichnet das Porträt einer unglücklichen, nachdenklichen Frau, die in eine Ehe mit einem deutlich älteren, etwas lethargischen und ihr gegenüber indifferenten und Mann gezwungen wurde. Im Gegensatz zu diesem verfügt sie jedoch über ein glühendes Temperament und blickt auch den politischen Ereignissen, den sich abzeichnenden revolutionären Kämpfen in ihrer Heimat, mit großem Interesse entgegen. In der letzten Einstellung dieses Porträts ist sie dabei zu sehen, wie sie – auf einem Felsen sitzend – nachdenklich auf das aufgewühlte Meer blickt. Eben diesem stürmischen Meer sollte bald darauf ihr zukünftiger Liebhaber entsteigen, was den schicksalhaften, man möchte fast sagen, von der Vorsehung herbeigeführten und damit natürlich mythischen Charakter dieser Verbindung unterstreicht.

Von der auf die Brandung blickenden Anita springt der Film ebenso unverhofft zu Garibaldi. Präsentiert werden Szenen und Taten aus seiner Zeit in Südamerika, die den Revolutionär als mythischen Helden erscheinen lassen: Garibaldi, wie er nach einem Schiffbruch just an jenem Strand dem tosenden Meer entsteigt, wo eben noch Anita saß; Garibaldi, wie er den Tod seiner italienischen Mitstreiter betrauert, die bei diesem Unglück ihr Leben verloren; Garibaldi, wie er in der Pose des einsamen, nachdenklichen Helden seinen Gedanken nachgeht, während seine Weggefährten etwas abseits um ein Lagerfeuer versammelt sind; Garibaldi, der einen Rebellenangriff auf einen kaiserlichen Stützpunkt in Laguna führen soll und dabei – in einer typischen David-gegen-Goliath-Konstellation – als todesmutiger Korsar und Schiffskapitän gegen eine feindliche Übermacht triumphiert.

In Laguna kreuzen sich schließlich die Wege von Anita und Garibaldi. Dabei ist es der zerstreut und gelangweilt wirkende Held, der – infolge von Reparaturarbeiten auf seinem Schiff zur Untätigkeit verdammt – Anita erblickt und sofort von ihr fasziniert ist. Der Film fokussiert die transgressive Dimension der sich entwickelnden Liebesbeziehung, die – ganz im Stile von Garibaldis „antibürgerlichem“, freigeistigen Lebensmodell, das sich jenseits gängiger Konventionen und konservativer Denkmuster erhebt – als ein Hinwegsetzen über die Sitten und Moralvorstellungen ihres soziokulturellen Umfeldes inszeniert wird: auf der einen Seite Garibaldi, der in der Rolle des Eroberers und Herzensbrechers einer verheirateten Frau nachstellt, sich den Unmut der frommen lokalen Bevölkerung zuzieht und mit seinem amourösen Abenteuer nach Ansicht Rossettis die Loyalität der Menschen zur gerade ausgerufenen Republik gefährdet (man beachte in diesem Zusammenhang die im Film gezeichnete Rollenteilung: Während Garibaldi als romantischer Held erscheint, der als tapferer Kämpfer brilliert, jedoch mit seinem Temperament und seinem Tatendrang nicht für ein Dasein als revolutionärer Funktionär geeignet ist, bekleidet Rossetti die Position des Strategen und rationalen Kopfes der Revolution, der den impulsiven Garibaldi des Öfteren zur Räson rufen muss); auf der anderen Seite steht Anita, deren Ehemann sich zwar mit den kaiserlichen Truppen aus Laguna davongemacht hat, die jedoch letztlich, da sie sich mit Garibaldi einlässt, trotz allem Ehebruch begeht und von ihren Mitmenschen deswegen misstrauisch beäugt wird. Insofern zeichnet der Film hier das Porträt einer Frau, die aus der traditionellen Rolle als Gattin ausbricht, gegen ihr trostloses Schicksal rebelliert und den heimischen Herd verlässt, um selbst aktiv in die Geschichte einzugreifen. In diesem Zusammenhang ist dem Film v.a. daran gelegen, Anitas Entwicklung (man könnte auch sagen, ihre „Emanzipation“) sowohl in der Beziehung zu Garibaldi als auch auf revolutionärer Bühne zu zeigen und ihre im Fortlauf des Filmes zunehmend aktivere Rolle in den Kämpfen, ihre Wandlung von einer „gewöhnlichen“ Frau aus dem Volk in eine politische Heldin, zu verdeutlichen.

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1. Anita als reitende, kämpfende Amazone: Mario Rutelli, Bronzestatue (1932) von Anita Garibaldi auf dem Gianicolo, Rom, http://commons.wikimedia.org/wiki/File:20110327_Roma_Gianicolo_Anita_Garibaldi_-_foto_1.jpg

Schon als Garibaldi Anita kennenlernt, erscheint diese zwar als schüchterne, jedoch willensstarke und auch widerspenstige Frau, die sich auch körperlich gegen Garibaldis Nachstellungen zu wehren weiß (auch hier erscheint Garibaldi als Eroberer, der zunächst auf Widerstand stößt, diesen jedoch, nicht ohne sich ein paar Blessuren einzufangen, bricht). Ihr physisches Geschick demonstriert sie kurz darauf, indem sie ihrem Verehrer davongaloppiert. Die risorgimentale und später faschistische Ikonographie Anitas hat sie vielfach zu Pferde, in der Doppelrolle einer kämpferischen Amazone und zugleich einer führsorgliche Mutter dargestellt, wie sie – ein Kind an der Brust stillend – in entschlossener, reitender Pose (Abb. 1) den revolutionären Abenteuern begegnet. In den bisweilen knapp gehaltenen Dialogen, die manchmal den Eindruck erwecken, dass hier weniger zwei Individuen als vielmehr zwei Figuren der Zeitgeschichte sprechen, denen man symbolisch aufgeladene Botschaften, Tugenden und Ideale in den Mund gelegt hat, manifestieren sich dabei Anitas charakterliche Voraussetzungen, die sie zur zukünftigen Heldin auf Augenhöhe an der Seite ihres Partners prädestinieren:

Garibaldi (vor einer Schlacht): Hast du Angst?
Anita (nach kurzer Stille): Nein! (58:12–58:31)

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2. Filmstill aus anita e garibaldi, 55:16

Auch widersetzt sie sich den Anweisungen ihres Partners, nicht an Kampfhandlungen teilzunehmen und in Deckung zu bleiben. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung sieht man eine revolutionäre Kämpferin, die nicht mehr nur in einer passiven Rolle die Gewehre für die männlichen Soldaten präpariert (Abb. 2), sondern die selbst aktiv den ersten Schuss abgibt und damit an der Seite Garibaldis eine revolutionäre Vorreiterrolle einnimmt. Dieses Wirken auf der politisch-militärischen Bühne wird dabei immer wieder durch Szenen unterbrochen, in denen die Intimität der Liebesbeziehung dargestellt wird und die das Paar beispielsweise nackt und engumschlungen in einer kleinen Hütte am Strand zeigen (Abb. 3).

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3. Filmstill aus anita e garibaldi, 1:01:42

Mit seiner Vermischung von privater, intimer und öffentlicher Sphäre verschreibt sich der Film damit letztendlich einer Perspektive, die den Grundmechanismus und das Erfolgsgeheimnis des Mythos Garibaldi – mit den Worten Rialls ein zentraler Bestandteil der „Garibaldi Formula“10 – offen legt. Wie oben angedeutet, bezieht der Film den Plot, in dem Liebes- und Abenteuergeschichte mit den großen politischen Fragen der Zeit kombiniert werden, gewissermaßen von Garibaldi selbst. Dass der Film bei aller Hervorhebung von heroischem Gestus, von Leid und idealistischer Aufopferung nicht vollends ins Melodramatische abdriftet, liegt daran, dass er in einem brasilianischen Kontext jenen Aspekt andeutet, der auch in Italien lange Zeit in der offiziellen Erzählung über die nationale Einigungsgeschichte verdrängt wurde: die Tatsache, dass die revolutionären Umbrüche vielfach von Gewalt und Repressionen gegen die ansässige, vorgeblich zu befreiende Bevölkerung begleitet wurden und auch Garibaldis Truppen sowohl in Südamerika als auch in Italien daran beteiligt waren. So wird der capitano del popolo, wie Garibaldi sich selbst immer wieder gerne nannte, im Film an einer Stelle von der bisweilen desillusionierenden revolutionären Realpolitik eingeholt: Einem Befehl folgend, muss er als loyaler Diener der revolutionären Obrigkeit schweren Herzens eine repressive militärische Maßnahme gegen die Bevölkerung von Santa Catarina durchführen, worüber er verzweifelt ist und Trost bei Anita sucht.

Besonders in Italien fällt anita e garibaldi in eine Zeit, in der – wie eingangs geschildert – eine heroische Perspektive auf das Risorgimento nicht gerade en vogue ist. Hiervon zeugt etwa der zum einhundertfünfzigsten Staatsjubiläum veröffentlichte Film noi credevamo (Italien 2010, Regie: Mario Martone). In diesem Film wird ein Blick auf die italienischen Unabhängigkeitskriege geworfen, der zum einen die niederschmetternde, blutige und grausame Realität des Einheitskampfes zeigt und zum anderen das Schicksal jener „gewöhnlichen“ jungen Patrioten und Kämpfer in den Vordergrund rückt, die in der offiziellen Historiographie von der Heldenriege Garibaldi, Mazzini und Cavour überstrahlt werden – ein Film über das Risorgimento, in dem Garibaldi nahezu komplett fehlt. Zu Anfang wurde hervorgehoben, dass dieser Umstand auf eine europaweit zu beobachtende Sinnkrise des „heroischen“ oder „monumentalen“ Gedächtnisses zurückzuführen ist, dessen – wie Etienne François betont –„zentrale Figur [] der Held und Kämpfer war“.11 Trotz aller inhaltlichen und programmatischen Differenzen und entgegen der im Film anita e garibaldi offensichtlichen Heroisierungsstrategien, die nur zu gerne bekannte Narrative – Abenteuergeschichten, Heldentaten und leidvolle Erfahrungen – bemühen, offenbart sich in diesen Filmen jedoch eine gemeinsame Tendenz, Geschichte auch abseits der großen, „ab- oder zu Ende“ erzählten Historie sichtbar zu machen und damit mehr oder weniger ausführlich jene Verstrickungen des Sentimentalen und Politischen in den Mittelpunkt zu rücken, denen im Zeitalter des nationalen Aufbruchs sowohl die bekannten als auch unbekannten Protagonisten unterworfen waren. Es ist offensichtlich, wem sich eine solche filmische Perspektive auf die politischen, sozialen und kulturellen Umbrüche des 19. Jahrhunderts in Italien verdankt: Viscontis gattopardo, dem es in besonderer Prägnanz gelang, die großen Umwälzungen des Ottocento auf die Ebene des Privaten herunterzubrechen.


  1. Vgl. Mario Isnenghi, Garibaldi fu ferito: storia e mito di un rivoluzionario disciplinato (Roma: Donzelli, 2007), 3.

  2. Sergio Romano, Storia d’Italia dal Risorgimento ai nostri giorni (Milano: Longanesi, 1998), 390–1.

  3. Auch über den nationalen Tellerrand Italiens hinaus erfreut sich eine kulturwissenschaftlich ausgerichtete Garibaldi-Forschung zur Zeit großer Beliebtheit: Stellvertretend sei an dieser Stelle auf die monumentale Studie von Lucy Riall, Garibaldi: Invention of a Hero (New Haven u.a.: Yale University Press, 2007) hingewiesen. Vgl. auch Robert Lukenda, „‚Viva Garibaldi!‘: Heldentum und mediale Inszenierung am Übergang zur politischen Moderne“, helden. heroes. héros: E-Journal zur Kultur des Heroischen 2, Nr. 2 (2014), 93–105, www.sfb948.uni-freiburg.de/e-journal/ausgaben/022014/helden_heroes_heros_2_2_2014.pdf-1.

  4. Vgl. diesbezüglich die jedoch unvollständige, in Teilen lückenhafte Auflistung unter http://it.wikipedia.org/wiki/Giuseppe_Garibaldi_nella_cultura_di_massa, Zugr. am 1.10.2015.

  5. Mit Filmen wie Mario Caserinis anita garibaldi (1910), Aldo De Benedettis anita o il romanzo d’amore dell’eroe dei due mondi (1927) oder auch mit der italienisch-brasilianischen Koproduktion anita: una vita per garibaldi, die sich mit der Figur der revolutionären Heldin und Frau Garibaldis auseinandergesetzt hat. Dass Anita Garibaldi auch in Italien als nationale Heldenfigur verehrt wurde, beweist eine Bronzestatue, die ihr zu Ehren 1932 auf dem römischen Gianicolo errichtet wurde (Abb. 1).

  6. George Sand, „George Sand über den Krieg in der Lombardei“, in Giuseppe Garibaldi, Die Memoiren Giuseppe Garibaldis, hrsg. von Alexandre Dumas père (Wiesbaden: Marix, 2007), 355–67, hier 359.

  7. Sand, George Sand über den Krieg, 361.

  8. Lucy Riall, „Garibaldi: The First Celebrity“, History Today 8 (2007), www.historytoday.com/lucy-riall/garibaldi-first-celebrity, Zugr. am 17.06.2013.

  9. Mit dieser Art des medialen self-fashioning nahm Garibaldi gewissermaßen eine Strategie vorweg, die sich heutzutage größter Beliebtheit erfreut. Zum Tragen kommt sie nicht zuletzt dort, wo Prominiente (oder solche, die es werden wollen) ihr Beziehungsleben gezielt nach außen tragen und sich z.B. über homestories in der Regenbogenpresse im Gespräch halten.

  10. Vgl. Riall, Garibaldi, 128–63.

  11. Etienne François, „Erinnerungsorte zwischen Geschichtsschreibung und Gedächtnis: eine Forschungsinnovation und ihre Folgen“, in Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis, hrsg. von Harald Schmid (Göttingen: V & R unipress, 2009) 23–35, hier 25.





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